Die Nachlese des Literaturschnacks vom 12.02.2025
Mit großem Zuspruch fand am Mittwoch, 12.02.2025, der erste Literaturschnack des Jahres 2025 statt, die Zeit flog nur so dahin.
Sehr interessant war – neben den wie immer erstklassigen Tipps – die Diskussion über den neuen Book-Tok-Trend und seine Auswirkungen. Soll man sich darüber freuen, dass so viele junge Leute wieder lesen oder hat der oft reaktionäre, stereotype und häufig gewaltbeladene Inhalt eher negative Auswirkungen für die jungen Lesenden? Eine eindeutige Antwort darauf gibt es wohl nicht, wirtschaftlich erfolgreich sind die Bücher auf jeden Fall.
Hier nun die Tipps, die wieder sehr sachkundig vorgestellt wurden:
Romane:
- Ron Rash: Der Friedhofswärter, 2024 (in der Bibliothek vorhanden, in der Onleihe24 nicht vorhanden)
Eine lohnende Entdeckung aus dem letzten Jahr, die die Lesenden in die 1950-er Jahre in North-Carolina katapultiert. Das Leben dort ist hart, vor allem für den jungen Blackburn. Als Kind an Polio erkrankt, macht ihm seine Verunstaltung im Gesicht zu schaffen. Seinen Frieden findet er bei der Arbeit auf dem Friedhof. Als sein einziger Freund Jacob in den Koreakrieg eingezogen wird, kümmert er sich selbstverständlich um dessen schwangere Frau. Die Eltern Jacobs allerdings wollen diese loswerden. Als Jacob im Krieg schwer verletzt wird, schmieden sie einen perfiden Plan … Knapp, nüchtern aber voller Sympathie für den titelgebenden Protagonisten stellt der in den USA bekannte Autor dieses Kapitel der amerikanischen Geschichte sehr überzeugend dar.
- Jayrôme C. Robinet: Sonne in Scherben, 2024 (in der Bibliothek sowie der Onleihe24 nicht vorhanden)
Das Paar Enzo und Angèle hat einen Kinderwunsch. Als der Transgender-Mann Enzo schwanger wird, bricht ein Shitstorm über die beiden herein. Das Kind wird geboren, das Paar ist glücklich. Ende der Geschichte? Nein. Robinet gibt noch einen kurzen, äußerst spannenden Ausblick, der in eine ganz andere Richtung geht. Mittendrin zum Teil etwas drüber ist dieser aktuelle Roman jedoch ein großartiger Beitrag zu den Themen Bioethik, Familienkonstellationen, Toleranz.
- Iida Turpeinen: Das Wesen des Lebens, 2024 (in der Bibliothek vorhanden, in der Onleihe24 nicht vorhanden)
In diesem dreigeteilten Roman verknüpft die Autorin Wissenschaftsgeschichte mit Literatur, wobei der literarische Aspekt nicht immer komplett überzeugt. Auch ist die Darstellung des Themas eher aufzählend als analytisch. Trotzdem ist das Buch über die Entdeckung der Stellerschen Seekuh und ihre daraus resultierende Ausrottung ein Gewinn. Die Expedition ins Nordmeer 1741 in Logbuchform, die Präsentation der Skelette in Museen Mitte des 19. Jahrhunderts und die Restaurierung derselben in den 1950-ern bieten geeignete Anknüpfungspunkte und machen Lust, sich mit diesem ausgestorbenen Tier einmal näher zu befassen.
- Daniela Krien: Mein drittes Leben, 2024 (in der Bibliothek sowie der Onleihe24 vorhanden)
Das Thema Tod und Trauer eignet sich nicht unbedingt für dunkle Tage, trotzdem gibt es für den neuen Roman von Daniele Krien eine besondere Leseempfehlung. Nach dem Tod ihrer Tochter zieht sich Linda in ein kleines Dorf zurück, unfähig, mit den sie liebenden Personen Kontakt zu halten. Ihre Ehe zerbricht, Linda lebt nur noch mit und für ihre Tiere. Doch ganz allmählich, durch die Beschäftigung mit den Tieren und das ruhige Zusammenleben mit ihren Nachbarn deutet sich am Horizont die Möglichkeit eines neuen Lebens an. Schwere Thematik, die die Autorin sensibel, aber auch mit großer Wucht behandelt.
- Leo Vardiashvili: Vor einem großen Walde, 2024 (in der Bibliothek vorhanden, in der Onleihe 24 nicht vorhanden)
Ein gutes Beispiel dafür, wie exemplarische Schicksale die Gründe für Migration verdeutlichen können. Ein Vater, der mit seinen beiden Söhnen im Exil in London lebt, kehrt zurück nach Georgien, um dort nach seiner Frau zu forschen, die er nicht nachholen konnte. Erst verschwindet der Vater, dann auch der hinterhergereiste ältere Bruder. Daraufhin fliegt auch der Jüngste nach Georgien, und begibt sich mit der Hilfe eines Taxifahrers auf die Suche nach seinen Verwandten. Hinweise des Bruders geben ihm dafür Anhaltspunkte. Düster, aber poetisch und zum Teil humorvoll verarbeitet der Autor hier auch eigene Erfahrungen, Gute Hintergründe zu Georgien machen das Buch besonders in der momentan dort sehr angespannten politischen Situation zu einem Volltreffer.
- Rebecca F. Kuang: Babel, 2023 (in der Bibliothek sowie der Onleihe24 nicht vorhanden)
Der Star am Fantasyhimmel wurde sogar von Denis Scheck geadelt. Worum geht es? Der chinesische Waisenjunge Robin wird von einem geheimnisvollen Professor 1830 nach London gebracht, um dort Aufnahme im Königlichen Übersetzungsinstitut „Babel“ zu erhalten und Sprachen zu studieren. Dass in Babel auch Magie gelehrt wird, die hilft, einflussreiche Silberbarren herzustellen, merken Robin und seine Mitstreiter, alles Mündel des Professors, erst später. Doch wollen sie England helfen, als imperiale Macht mithilfe der Silberbarren zu expandieren? Mit großem Fokus auf sprachwissenschaftlichen Themen, aber zunehmend auch politisch bzgl. Misogynie, Rassismus, Ausbeutung und Unterdrückung legt Rebecca Kuang einen nicht ganz leicht zu lesenden Mix aus Dark Academia, historischem Roman und Fantasy vor.
- Richard Powers: Das große Spiel, 2024 (in der Bibliothek vorhanden, in der Onleihe24 nicht vorhanden)
In diesem gewichtigen Buch schildert Powers zeitversetzt das Leben von zwei Männern und zwei Frauen, das aufeinander zuläuft, bis sie sich auf einem Pazifik-Atoll treffen. Eine Frau ist Meeresforscherin, die beiden Männer sind Internet-Pioniere, die sich durch die Vermarktung eines gemeinsam entwickelten Computer-Spiels entzweien, eine Frau ist Künstlerin, in die beide Männer verliebt sind. Powers richtet mit einem originellen Szenario in Zeiten von Klimakrise sowie Fluch und Segen der KI einen Appell für eine lebenswerte Zukunft an die Menschheit. Etwas theoretischer, aktueller Roman für literarisch Anspruchsvolle.
- Wolf Haas: Wackelkontakt, 2025 (in der Bibliothek vorhanden, in der Onleihe24 nicht vorhanden)
Originelle Grundidee des auch für seine Brenner-Krimis bekannten Autors: der Trauerredner Escher! liest vom Leben eines Mafioso, während er auf einen Elektriker wartet. Diesen tötet er versehentlich, kommt aber straffrei davon. Und auf der anderen Seite liest der Mafioso in seiner Zelle von einem Trauerredner, der versehentlich seinen Elektriker tötet. Wie die sich gegenseitig malenden Hände von MC Escher landen wir hier in einem ineinander verschnörkelten Roman, der allerdings aufs Beste unterhält.
In aller Kürze:
- Paul Auster: Mond über Manhattan, 1990 (in der Bibliothek sowie der Onleihe24 nicht vorhanden)
Auf geheimnisvolle Weise macht ein junger Aussteiger in New York die späte Bekanntschaft mit den exzentrischen Gestalten seines Vaters und Großvaters (ekz-Annotation). Weiß ab der Hälfte des Buches nicht mehr zu fesseln.
und
- Robert Seethaler: Das Café ohne Namen, 2023 (in der Bibliothek sowie der Onleihe24 vorhanden)
Wien in den 1960-ern: Robert wagt sich, ein Café zu eröffnen, das alsbald zum Treffpunkt für die unterschiedlichsten Menschen wird … Die unspektakuläre aber feine Erzählweise Seethalers schaut den Menschen direkt in die Seele.
- Carol Shields: Duet, 2003 (in der Bibliothek sowie der Onleihe24 nicht vorhanden)
Dieser Titel vereint die beiden ersten Romane "Small Ceremonies" und "The Box Garden" unter einem Titel und ist bisher nicht ins Deutsche übersetzt. Die kanadische Pulitzerpreisträgerin kann jedoch mit ihren Romanen aus der Sicht jeweils einer von zwei Schwestern nicht recht überzeugen. So ist die erste Schwester, die Biografien schreibt, recht abstoßend beschrieben. Keine Empfehlung.
Hörbuch:
- Campino: Hope Street – Wie ich einmal englischer Meister wurde, 2020 (in der Bibliothek vorhanden, in der Onleihe24 nicht vorhanden)
Von Campino selber wunderbar gelesen erklärt dieses Hörbuch jedem, wie man zu einem so großen Fußballfan werden kann. Band- und Familiengeschichte werden auch behandelt. Absolute Empfehlung, auch für Nicht-Fußball-Fans.
Sachbuch:
- Sigri Sandberg: Dunkelheit, 2022 (in der Bibliothek sowie in der Onleihe24 nicht vorhanden)
Ein Lesebuch, das Information und Unterhaltung gut verbindet. Die Autorin versucht ihre Angst vor der Dunkelheit mittels Beschäftigung mit dem Thema zu bekämpfen. Als Experiment zieht sie sich für mehrere Tage in eine komplett dunkle Hütte zurück und schildert ihre Erlebnisse und Erkenntnisse darüber. Auch schildert sie das Leben einer böhmischen Dame, die ein Jahr auf Spitzbergen verbrachte. Sachinformationen zum Thema Licht und Dunkelheit, Auswirkungen auf die Natur sowie Lichtverschmutzung komplettieren dieses empfehlenswerte Buch.
- Navid Kermani: Entlang den Gräben, 2018 (in der Bibliothek vorhanden, in der Onleihe24 nicht vorhanden)
Reisetagebuch des deutschen Autors mit iranischen Wurzeln, das in kurzen Kapiteln ein Land seiner Osteuropareise darstellt. Dabei kommen Geschichte, Politik und bedeutende Persönlichkeiten zum Tragen und bieten eine gute Hintergrundinformation über das besprochene Land. Insgesamt gibt Kermani einen sehr reflektierten Einblick in eine dem Westen häufig noch fremde Welt. In ähnlicher Form passt dazu sein neuester Titel
- Navid Kermani: In die andere Richtung jetzt, 2024 (in der Bibliothek nicht vorhanden, in der Onleihe24 vorhanden)
Im Auftrag der ZEIT bereist der Autor Ostafrika und schildert die Sorgen, Nöte und Hoffnungen der Menschen dort.
Der nächste Literaturschnack findet statt am Mittwoch, 12.03.2025 um 9.30 Uhr im zib. Eine Anmeldung ist erforderlich.